Stress? Ob Gift oder Medizin, entscheidet das Mass (Paracelsus)

Stress brauchen wir alle, um unsere Herausforderungen zu bewältigen. Zu viel Stress wird dann aber zum Risiko, nicht nur für uns selber, sondern auch für die Qualität unserer Arbeit.

«Stress sorgt dafür, dass wir in den unterschiedlichsten Umgebungen zu Höchstleistungen fähig sind.» Clemens Kirschbaum

«Wir haben die Stressreaktion nicht deshalb, damit wir krank werden, sondern damit wir uns ändern können.» Gerald Hüther

Von Christian Bachmann

Wir brauchen alle einen gewissen Level an Stress, um unsere anspruchsvollen Aufgaben zu bewältigen. Das biologische Stressprogramm des Menschen führt durch die Ausschüttung von Cortisol und Adrenalin zu einer körperlichen Aktivierung und der Mobilisierung von Energie. So wird die Gehirndurchblutung gesteigert und die Wahrnehmung der Sinnesorgane nach aussen gerichtet.

Das biologische Stressprogramm des Menschen ist evolutions-biologisch höchst sinnvoll: Es erlaubte dem Menschen eine blitzschnelle Vorbereitung des Organismus auf eine bevorstehende körperliche Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Gefahrensituationen. Deshalb ist die akute Stressreaktion an sich auch kein Gesundheitsrisiko.

Die „Medizin“ der Stressreaktion ist in den Zitaten von Kirschbaum und Hüther schön zusammengefasst. Die Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Aktivierung und Leistung führte zur Erkenntnis, dass dieser jedoch nicht linear, sondern umgekehrt u-förmig ist. In der stark vereinfachten Grafik ist aufgeführt, dass mit zunehmender Aktivierung die Leistung steigt. Das maximale Leistungsniveau wird bei einer mittleren Aktivierung erreicht.
Danach sinkt die Leistung wieder. Dies wird v.a. damit begründet, dass sich mit zunehmender Aktivierung der Aufmerksamkeitsfokus verengt. Der „Tunnelblick“ hilft in einer tiefen Erregungsphase, zur Konzentration auf das Wesentliche.

Geht die Aktivierung aber über „das gute Mass“ hinaus, werden bei der Bewältigung von komplexen Anforderungen aufgabenrelevante Reize und Informationen ausgeblendet, wodurch die Leistung wieder sinkt. Zudem kann eine starke Aktivierung zu emotionalen und kognitiven Symptomen der Erregung führen, die von der Beschäftigung mit der wesentlichen Aufgabe ablenken (Gefühle wie Angst, Ärger oder Wut und/oder störende Gedanken z.B. zu einem möglichen Misserfolg).

Die Kunst des persönlichen Stressmanagements liegt damit darin, das aktuelle Aktivierungsniveau in Bezug auf die Erfordernisse der jeweiligen Aufgabe entsprechend regulieren zu können. In der Praxis bedeutet das oft, die persönliche Aktivierung nach Möglichkeit zu reduzieren.

Mit der Stress-Ampel unterteilt Gert Kaluza (Stressbewältigung, 2018) die individuelle Stresskompetenz in drei Ebenen (Abbildung). Als Stressoren gelten alle äusseren Anforderungen, in deren Folge es beim Menschen zur Auslösung einer Stressreaktion kommt. In der Berufsarbeit ist dies oft hoher Termin- und Leistungsdruck, „Multi-Tasking“, soziale Konflikte oder Störungen und Unterbrechungen die einem aus der Konzentration reissen.

Persönliche Stressverstärker intensivieren das Stresserleben

Der Mensch hat aber immer auch einen eigenen Anteil am Stressgeschehen: die persönlichen Stressverstärker. Unentbehrlich sein zu wollen, Perfektionismus, sich nicht helfen lassen können oder wollen, sowie sich selber zu überfordern in den eigenen Ansprüchen tragen dazu bei, dass die Wirkung der ursprünglichen Stressoren auf uns noch verstärkt werden.

Jeder Stressor führt schlussendlich zu einer Stressreaktion. Dies beinhaltet die körperlichen und psychischen Antworten des Organismus auf die Belastungen. Bei Menschen, die durch Stress verursachten Belastungen langfristig ausgesetzt sind (chronischer Stress), kann es zu Erschöpfung oder Krankheit kommen. Diese psychosomatischen Stressreaktionen sind im Artikel der American Psychological Association (APA) ausführlich beschrieben.

Instrumentelle Stresskompetenz zielt nun darauf, dass der Mensch jeweils spezifische Strategien entwickeln kann, um die persönliche Stress-Aktivierung zu reduzieren.

Auf der Ebene der Stressoren werden die Anforderungen selbst aktiv angegangen. Hier sind alle Aspekte des Selbstmanagements und der persönlichen Arbeitstechnik hilfreich. Auch die Kompetenzen zur persönlichen Kommunikation und zum Konfliktmanagement sind hier sehr förderlich, ebenso das Pflegen der persönlichen Netzwerke und das Raumgeben für die persönliche Weiterbildung grundsätzlich.

Die mentale Stresskompetenz basiert auf der Selbstreflexionsfähigkeit: Sich selber beobachten zu können in seinem Denken und Handeln und daraus immer wieder neue förderliche Einstellungen zur aktuellen Situation zu entwickeln.

Die regenerative Stresskompetenz wirkt auf der Ebene der Stressreaktion und beinhaltet Sport, Entspannung, Genuss und Pausen, um die Stresshormone im Körper wieder abzubauen.

Alle Stresskompetenzen müssen entwickelt werden für gezielte Stressregulierung

Wichtig ist nun in der Entwicklung unserer Stresskompetenzen, dass wir nicht nur „das Eine“ tun. Also nicht nur Sport treiben, um den Stress abzubauen. Damit bleiben die externen Stressoren bestehen und auch die persönliche Einstellung dazu wird nicht reflektiert. Aber nur die persönliche Einstellung immer wieder reflektieren und sich in der „betroffenen Gelassenheit“ üben, ist auch nicht genug auf Dauer.

Ab und an müssen wir auch direkt einen Stressor, z.B. in Form eines sozialen Konfliktes ansprechen können, um für uns zu einer wiederum tragbaren Situation zu kommen (z.B. Rollenklärung in einem Projekt oder aber auch das Verhandeln von Erwartungen mit meinen Vorgesetzten). Je mehr Stressreduktions-Kompetenzen wir entwickeln können auf den drei Ebenen, desto besser können wir unsere persönliche Stress-Aktivierung immer wieder regulieren und das „gesunde Mass“ finden, damit Stress mehr Medizin für uns ist anstatt Gift.

Seminare zum Blog:

Literaturempfehlung:

Gert Kaluza, Stressbewältigung, 4. Auflage, 2018.